Hessische Automobilgeschichte

Delta und Detra – Tatra-Wagen aus Frankfurt

Um das Jahr 1850 begann der Wagenbauer Ignatz Schustala– damals gehörte das nordostmährische Kopřivnice noch zu Österreich-Ungarn und trug den Namen Nesselsdorf – die Herstellung von Kutschen und Wagen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft.
Um 1897 entwarfen die Konstrukteure Carl Sage und Edmund Rumpler bei »Nesselsdorfer» das erste Automobil im Kaiserreich Österreich-Ungarn. Der Wagen trug die Bezeichnung »Präsident« und war im Prinzip eine Kutsche eigener Produktion mit einem Benz-Motor. Bald erlangte das Unternehmen unter dem Markennamen Nesselsdorf Weltruf im Automobilbau.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Donaumonarchie lag das Werk auf dem Gebiet der neu gegründeten Tschechoslowakei. Aus Nesselsdorf wurde Kopřivnice und ab 1921 präsentierte sich die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft unter dem Markennamen Tatra – in Anlehnung an das slowakische Tatra-Gebirge. 1923 wurde Tatra dem Ringhoffer-Konzern angegliedert.
Untrennbar ist die Geschichte von Tatra mit dem genialen Autokonstrukteur Hans Ledwinka verbunden. Ab 1897 für das Unternehmen tätig – er hatte schon am »Präsident« mitgearbeitet – prägte Ledwinka die Technik der Autos aus Nesselsdorf.1923 konstruiert er den Tatra Typ 11. Der neuartige, ja revolutionäre Wagen hatte einen luftgekühlten Zweizylinder-Boxermotor mit 1,1 l Hubraum und 12 PS. Der luftgekühlte Motor bildete mit dem angeblockten Vierganggetriebe und einem Zentralrohrrahmen das Chassis. Dazu kam eine hintere Einzelradaufhängung. Der leichte Wagen war durch seinen luftgekühlten Motor zwar verhältnismäßig laut und rau, aber überzeugte durch überlegene Fahreigenschaften. Der bald zum Typ 12 weiterentwickelte Wagen mit seiner typischen »Bügeleisenfront«, konnte zahlreiche sportliche Erfolge erzielen. Wegen Ledwinkas überzeugender Konstruktion erhielten alle nachfolgenden Tatramodelle das Zentralrohrfahrgestell.
Deutschland war für Tatra ein wichtiger Absatzmarkt. Aufgrund der großen Nachfrage wurde 1925 in Frankfurt am Main die Deutsche Licenz Tatra-Automobile Betriebsgesellschaft m.b.H., kurz Delta, gegründet. Das in der Frankenallee ansässige Unternehmen hatte die Aufgabe, die Tatra-Modelle 11 und 12 in Lizenz zu fertigen und zu vertreiben.
Eigentlich lieferte Tatra speziell für den deutschen Markt gefertigte, linksgelenkte Chassis nach Frankfurt, die dort endgültig komplettiert wurden – der Typ 12 wurde nach der deutschen Steuerformel als 4/14 PS Tatra auf dem einheimischen Markt angeboten.
FĂĽr den Typ 11 und Typ 12 gab es je nach Kundenwunsch verschiedene Aufbauten, die durch unterschiedliche Karosseriebaufirmen im Raum Frankfurt, aber auch durch die Deutschen Reichswerke in Berlin Spandau zugeliefert wurden. Die in Frankfurt gebauten Fahrzeuge trugen stets das Tatra-Emblem und die hessische Herkunft war nur auf dem Typenschild erkennbar.
Zusätzlich war Delta der deutsche Direktimporteur für in Kopřivnice gebaute PKW und LKW. Übrigens wurden genauso Tatra-Wagen von 1921 bis 1939 in Wien (ab 1936 als Austro-Tatra) und von 1928 bis 1933 in Budapest (Unitas-Tatra) montiert.
Ende 1927 musste sich das Frankfurter Unternehmen in Detra umbenennen, da andere Hersteller ältere Rechte für diesen Markennamen reklamierten.
Bis 1933 wurden durch Detra in der Frankenallee die Typen 12 und 52 montiert. Neben den Deutschen Reichswerken lieferte inzwischen auch Auer aus Cannstatt Karosserien für die Wagen. Richtig rentabel war die Frankfurter Montage allerdings nie. Als ab dem Sommer 1933 auf Vermittlung des Detra-Geschäftsführers Arthur von Mumm, der neue Tatra Typ 75 in abgewandelter Form als Röhr Junior in Ober-Ramstadt für den deutschen Markt gefertigt wurde, lief die Montage von Detra in der Frankenallee aus.
Detra blieb weiterhin am gleichen Standort in Frankfurt am Main. Neben dem Vertrieb von Tatra-Fahrzeugen, war Detra nun eine offizielle Verkaufsstelle der Neue Röhr Werke AG.
Ein Luftangriff der Alliierten zerstörte 1944 die Werkshallen von Detra fast vollständig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg importierte Detra wieder Tatra-Wagen und führte deren Reparaturen und Wartungen durch. Dieses Geschäft erwies sich dann als nicht profitabel und so wurde die Gesellschaft 1952 liquidiert. Nicht mal 10 Fahrzeuge der Frankfurter Automobil-Rarität Detra haben überlebt.

Siehe dazu:
„Röhr –Ein Kapitel deutscher Automobilgeschichte“, Werner Schollenberger, Verlag Günter Preuß, 1996; Schollenberger, W., Hupe – das regionale Automagazin, „Fast vergessen – Autos aus Südhessen“, Serie Februar bis November 2011 (Echo Zeitungen GmbH Darmstadt); „Röhr – Die Sicherheit selbst, Werner Schollenberger, August Horch Museum, Zwickau 2012.



Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Delta Model 11

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Ein Detra

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Delta Werbung um 1926

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Hans Ledwinkas geniale Konstruktion. Das Chassis Tatra Typ 11

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
DETRA Werbung 1931

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Werbung Detra 1932